Das Interview mit Marc Gauchey, Chef de Cave

19.01.2000

GELDERMANN CHEF DE CAVE MARC GAUCHEY IM INTERVIEW


BREISACH, JULI 2021

Wann und wo bist Du geboren?

Ich bin im Januar 1960 in Mulhouse im Elsass geboren.

Bist Du in Mulhouse auch aufgewachsen?

Nein, wir sind sehr früh im Weinberg umgezogen, und zwar in ein kleines Städtchen mitten in den Weinbergen. Dort bin ich groß geworden.

Und dort hast Du auch Deine Liebe zum Wein entdeckt?

Ja genau. Einer meiner Schulkameraden war der Sohn eines Winzers. Und so habe ich schon im Weinberg gejobbt, seit ich 14 war. Da hat es mit der Liebe zum Wein angefangen.

Welche Stationen durchlief Deine Ausbildung?

Nach dem Abitur habe ich zwei Jahre lang eine schulische Ausbildung im Bereich Weinbau und Önologie absolviert. Danach hat es mich nach Toulouse in Südfrankreich gezogen, dort habe ich an der Universität zwei Jahre lang Önologie und Weinbau studiert. Im Praxissemester ging es für mich ins Weininstitut in Colmar. Noch im Studium wurde mir von einem Önologie-Labor, das für ca. 250 Kunden Analysen und Beratung machte, ein Job angeboten. Nach vier Jahren dort wollte ich etwas anderes erleben und fing als Önologe im Keller eines Weinhändlers an. Als aber das Institut nach einiger Zeit mit besseren Konditionen wieder auf mich zu kam, ließ ich mich abwerben und kehrte zu meinem alten Arbeitgeber zurück. Dort blieb ich bis 1991, als Deutz und Geldermann mich ansprach. Seitdem bin ich untrennbar mit dem Haus verbunden.

Du wurdest damals noch vom letzten Nachfahren der Gründerfamilie Deutz eingestellt, von René James Lallier. Wie war das?

Ja richtig, das war James Lallier. Er war unheimlich anspruchsvoll, das muss man in unserem Job aber auch sein. Das Einstellungsgespräch dauerte drei Tage lang, dreimal haben wir uns getroffen bis wir alle Informationen und Punkte diskutiert hatten. Aber so hatten wir uns schon vor dem eigentlich Jobbeginn ziemlich gut kennengerlernt und ich wusste sofort, was ihm wichtig ist.

Warum hat sich Monsieur Lallier ausgerechnet für Dich entschieden? Er hätte ja auch einen Önologen aus Deutschland einstellen können?

Ich glaube, das lag einfach an unserer gemeinsamen Sprache. James Lallier war geborener Franzose und fing erst im Alter von 42 Jahren an, Deutsch zu lernen, als er Deutz und Geldermann übernahm. Aber, will man seine Sinne ausdrücken – also Schmecken, Riechen, Sehen, Fühlen – dann geht das einfach am besten in der eigenen Muttersprache. Das gilt natürlich auch für die Verkostung von Weinen, wenn Aromen und Geschmacksnoten beschrieben werden. James Lallier suchte jemanden, der alle wichtigen Entscheidungen im Unternehmen treffen kann. Der die Verantwortung für den Keller übernimmt, die Weiterentwicklung der Methodik, die Auswahl und den Einkauf der Grundweine etc. Darum war ihm eine tiefgreifende und reibungslose Verständigung sehr wichtig, jemand, der auch zwischen seinen Zeilen lesen konnte und wusste, was er meint.

Und wie funktioniert das bei Dir als Franzose bei einer Verkostung auf Deutsch?

Es ist in der Tat so, dass ich alles, was ich schmecke, gedanklich erst mal auf Französisch beschreibe. Wenn ich es dann artikuliere, übersetze ich es ins Deutsche. Es ist also immer eine Übersetzung meiner „französischen“ Empfindungen und ich hoffe, das Ergebnis ist einigermaßen verständlich.

Wie hast Du Dich in Geldermann eingearbeitet?

Ich habe ein gutes Jahr gebraucht bis ich genau wusste, was Geldermann eigentlich genau ist. Was für eine Qualität der Sekt hat, in welche Richtung es geht, welche Einflüsse die Historie und die Familie haben. Die Liste könnte ich endlos so weiterführen. Dann hat es noch drei Jahre gedauert, bis ich wusste, was genau der Geldermann-Geschmack ist.

Wie schaffst Du es aus verschiedenen Grundweinen eine Qualität zu komponieren, die nach zwei bis drei Jahren Reife den richtigen Geldermann-Geschmack hat? Mir kommt das vor wie Zauberei.

Nein, Zauberei ist es nicht, aber man muss gut schätzen können. Ich weiß noch, dass direkt nach meinem Start bei Geldermann die erste Einkaufstour der Grundweine vor der Tür stand. Ich fing an, meinen Geschmack hier explizit zu schulen, indem ich mir immer ein paar Flaschen der jeweiligen Grundweine mitnahm. Die probierte ich in gewissen Zeitabständen und lernte so, wie sich welcher Wein entwickelt. So fand ich mit der Zeit heraus, wie ich mit den Grundprodukten weiterarbeiten muss und konnte abschätzen, was sich daraus entwickeln kann. Außerdem lernte ich, mit der Traube „Chenin Blanc“ zu arbeiten, das hatte ich vorher noch nicht gemacht.

2021 ist Dein 30jähriges Jubiläum, was bedeutet diese lange Zeit bei Geldermann für Dich?

Es macht mich sehr stolz. Aber es ist auch eine große Verantwortung. Denn damals, als James Lallier das Unternehmen verkaufte, war klar, dass es jetzt an mir liegt, das Erbe und das Vermächtnis der Familie so fortzuführen, wie er sich das gewünscht hat und es auch in den Sekten zu bewahren. Ich habe mich auch deshalb schon immer sehr mit der Marke identifiziert.

Wie war es für Dich, als Franzose in Deutschland zu arbeiten? Was verbindet für Dich beide Länder?

Als ich bei Geldermann anfing, sprach ich nicht viel Deutsch. Es war eine große Herausforderung für mich, mit deutschen Kollegen und Mitarbeitern aus anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Aber damals war fast die Hälfte der Belegschaft ungefähr im gleichen Alter, wir waren eine junge Truppe die am gleichen Strang zog und etwas bewegen wollte. Das war toll und hat sehr viel Spaß gemacht. Wir hatten Kontakt mit Italien, mit Spanien und fast ganz Europa. Das hat mir gezeigt, was in Europa alles möglich ist und hat mich zum richtigen Europäer gemacht.

Wo siehst Du den Unterschied bei Deutschen und Franzosen, wenn es um Sekt bzw Wein geht?

In Deutschland hat der Preis des Weines eine größere Bedeutung, als bei den Franzosen. Das Weintrinken hat in Frankreich eine viel längere Tradition, bei meinen Großeltern beispielsweise wurde täglich Wein getrunken, das war ganz normal. Im Gegensatz zu Deutschland war bei uns der Wein praktisch ein Grundnahrungsmittel. Inzwischen haben sich die Länder mehr angeglichen. In den letzten 50 Jahren sind in Frankreich die einfachen Tafelweine für den täglichen Verzehr einer höheren Qualität gewichen, dafür trinkt man jetzt ausgewählter.

Worauf freust Du Dich jeden Morgen, wenn Du an die Arbeit gehst?

Das Schönste ist natürlich, eine Cuvée zu kreieren oder auch eine Dosage zu fertigen. Ja, ich muss sagen, eine ganz neue Cuvée zu komponieren, das macht mir am meisten Spaß. Aber leider ist das nur ein kleiner Teil meiner täglichen Aufgaben.

Was sind die zwei größten Herausforderungen in Deinem Job als Chef de Cave?

Eindeutig die Kunst, jedes Jahr mit neuem und völlig unterschiedlichem Material doch wieder das Geldermann-Produkt in seiner perfekten Qualität herzustellen. Denn kein Jahrgang gleicht ja dem anderen, jedes Jahr sind die Weine anders, aber der Geldermann-Sekt muss am Ende wieder die gleiche Qualität und den Geschmack haben, den er auch letztes Jahr hatte. Das ist schon eine Herausforderung.

Was steckt alles hinter der richtigen Handwerkskunst der Sektherstellung?

Die Kunst liegt nicht nur im Handwerk, also der Handarbeit im Weinberg und im Keller. Sie liegt auch darin, warten zu können. Das ist ganz wichtig, denn der Wein ist ein Naturprodukt, das jedes Jahr anders ausfällt. Es ist ja nicht so, dass man einfach einen Hahn aufdreht und dann sprudelt soviel Wein raus, wie man eben gerade braucht oder verkaufen möchte. Manchmal ist eine Cuvée einfach noch nicht reif, sie braucht länger, als sich das der Vertrieb mit seinen Planzahlen für Einzelhandel, Fachhandel oder die Gastronomie wünscht. Dann müssen nicht nur wir, sondern auch der Verkauf warten können, bis der Sekt die gewünschte Qualität erreicht hat. Eine ganz exakte Planung gibt es bei der Handwerkskunst der Sektherstellung einfach nicht.

Deine Unterschrift ziert auch die Etiketten der Geldermann Les Grands. Wie viel Deiner Persönlichkeit und Deiner Emotion lässt Du noch in die Geldermann Sekte einfließen?

Es ist immer wieder ein toller Augenblick, wenn man die Weine verkostet, dabei alle Sinne einsetzt und man schmeckt, dass dies ein großer Jahrgang werden wird. Man weiß, dass etwas ganz Besonderes daraus entsteht und das verschafft mir nicht nur eine unglaubliche Befriedigung, sondern es macht mich auch sehr stolz. Und ich hoffe, dass auch dieser Stolz mit in die Cuvée einfließt.

Was fasziniert Dich an den alten Kellergewölben? Inspiriert Dich der Keller? Das ist ja schon ein ungewöhnlicher Arbeitsplatz

Der Keller ist ein ganz besonderer Ort. Wenn ich die Treppen hinabsteige, rieche ich jedes Mal wieder diesen typischen Geruch. Er ist immer noch gleich, so wie das erste Mal, als ich vor 30 Jahren hierher kam. Der Geruch stammt von uralten Eichenpaletten, die dort liegen. Wenn ich in die Galerien komme, wo die Rüttelpulte stehen, mischen sich eine weinige Note und der Duft nach Hefe dazu. Einfach unverwechselbar und ich fühle mich sofort zu Hause.

Welches ist für Dich persönlich der beste Sekt, den Du bisher kreiert hast?

Es gibt zwei Cuvées, die ich ganz besonders liebe. Die Erste gibt es gar nicht mehr, das war die Cuvée 01. Aber auch jüngst die Édition Musique No.1 – Composition de Jazz fand ich großartig. Das ganze Konzept der Édition Musique und die Zusammenarbeit mit dem Jazztrompeter Nils Wülker waren wunderbar.

Im Rahmen des Projektes Édition Musique hast Du schon zwei ganz besondere Cuvées in Kooperation mit Musikern geschaffen. Was hat Dir dabei am besten gefallen?

Das waren eindeutig die Persönlichkeiten der Musiker mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Egal ob der Jazztrompeter Nils Wülker oder die Musiker der Band Boogie Belgique, unsere Passion für die jeweilige Kunst war immer zu spüren. Obwohl wir aus zwei völlig unterschiedlichen kulturellen Ebenen kommen, gab es immer einen gemeinsamen Nenner. Zusammen haben wir an der Dosage für die jeweilige Cuvée gearbeitet und damit auch die Musik inspiriert.

Du bist ein begeisterter Hobbykoch, was ist Dein aktuelles Lieblingsgericht?

Das ist eine Entenbrust mit Kastanienhonig, dazu mache ich Kohlrabi mit Kardamom. Neulich habe ich ein italienisches Kochbuch geschenkt bekommen und daraus werde ich neue Gerichte testen. Und natürlich serviere ich immer das passende Getränk zum Essen. Ich muss sagen, dass sich unter anderem die asiatische Küche mit ihren Aromen wunderbar für eine Sektbegleitung eignet. Aber davon abgesehen lassen sich sehr viele Gerichte perfekt mit einem Brut oder auch einem trockenen Sekt kombinieren.

Was trinkst Du denn gerne, wenn es mal kein Geldermann Sekt ist?

Es gibt ganz tolle Crémants, die ich sehr schätze oder verschiedene Champagner. Starke Brände trinke ich sehr selten, vielleicht mal einen Cognac. Da bin ich wohl zu sehr Önologe, ich liebe einfach Wein mehr.

Wie entstand die Idee, bei Geldermann einen Crémant zu machen?

Ein Produkt wie ein Crémant hat für Geldermann eine logische Relevanz im Markt. Ich habe früher schon Crémant hergestellt, das ist also kein Problem. Dazu unterscheidet es sich nicht grundlegend von der Sektherstellung. Viele Prozesse sind die gleichen. So war die Idee dafür naheliegend. Durch unserem Partner Markgraf von Baden konnten wir auch auf qualitativ sehr gute Grundweine zugreifen.

Was ist das besondere an diesem Crémant Deiner Meinung nach?

Beim Geldermann-Crémant wollten wir von vorne herein alle Schritte selbst steuern können, also von der Auswahl der Trauben über die Weine, Kelterei und so weiter. Mit Markgraf von Baden haben wir einen Partner gefunden, der ganz eng mit uns zusammenarbeitet. Schloss Staufenberg, das Weingut Markgraf von Baden, ist bei uns ganz in der Nähe. Hier beginnt schon die Herstellung unseres Crémants, indem ich die Trauben probiere und deren Qualität einschätze und auswähle. Dann geht es weiter in Salem am Bodensee, wo wir über das Keltern sprechen. Wir sind somit von Anfang an in jeden einzelnen Schritt der Grundweinherstellung involviert. Sind diese fertig, werden sie zu Geldermann nach Breisach geliefert und in die Crémant-Cuvée verwandelt.

Aus welchen Trauben wird der Crémant hergestellt?

Das sind Chardonnay, Pinot Noir und Weißburgunder. Alles Trauben aus der Region Baden, entweder von den Staufenberg-Weinbergen oder vom Bodensee. Und alles Regionen mit Granitböden.

Was ist denn überhaupt der Unterschied zwischen Crémant und Sekt?

Im Gegensatz zum Sekt ist die Herstellung eines Crémant auf ein bestimmtes Anbaugebiet bzw. Region und die dort wachsenden Trauben begrenzt. Es ist also ein lokales Produkt und wird je nach Region aus bestimmten Rebsorten gemacht. Zu den strengen Vorgaben für die Crémants gehören unter anderem die Ganztraubenpressung, sie müssen im traditionellen Verfahren der Flaschengärung hergestellt werden und mindestens neun Monate auf der Hefe reifen. Das ist also ganz ähnlich wie bei manchen Sekt-Cuvées.

Und wie unterscheidet sich der Geldermann Crémant zum Geldermann Sekt, auch geschmacklich?

Der signifikanteste Unterschied ist, dass er keine Chenin Blanc Trauben enthält. Wir machen den Crémant nur aus Trauben, die in Baden wachsen, es ist eindeutig ein Produkt unserer Heimatregion. Er wird geschmacklich sehr die Crémants aus Frankreich ähneln. Unsere Trauben haben ein starkes Reifungsjahr hinter sich, sie brauchen nur eine sehr geringe Dosage. Wir werden uns mit dem Crémant im Brut Bereich bewegen.

Wie hat sich in den letzten 10-15 Jahren der Geschmack der Kunden verändert?

Wir haben bei Geldermann zwei prinzipielle Geschmacksrichtungen, nämlich die Cuvée Les Grands, die von längerer Lagerung auf der Hefe geprägt sind. Und die geschmacklich „demokratisierten“ Les Premiers, denn diese werden im Einzelhandel distribuiert. Rosé ist weiterhin ein Wachstumssegment. Was mich aber sehr überrascht hat ist, dass seit einigen Jahren der Brut wieder viel mehr gefragt ist. Die Tendenz geht also eindeutig mehr in Richtung Brut als zu trockenen Sekten.

Welches sind die neuen Trends im Bereich Sekt und Schaumweine? Auf was wird man sich in den nächsten Jahren einstellen müssen?

Ich glaube, die größte Herausforderung ist der Klimawandel. Und dies wird sich nicht nur auf die Hersteller auswirken, sondern auch den Geschmack der zukünftigen Weine prägen. Alle Regionen werden wärmer, dadurch werden auch die angestammten Traubensorten nicht mehr in ihren Heimatregionen wachsen. Dadurch müssen neue Sorten gezüchtet werden, die sich zur Wein- und Sektherstellung eignen. Ich hätte auch vor 30 Jahren nicht gedacht, dass Cabernet oder Merlot in Deutschland wachsen, aber das ist heute der Fall.

Jetzt möchten wir Dich persönlich noch besser kennenlernen, sag mir einfach spontan, was trifft auf Dich zu:
Rock-Pop oder Klassik?

Rock-Pop

Podcast hören oder ein Buch lesen?

Lieber ein Buch lesen, aber ab und zu mache ich auch beides

Haute Cuisine oder Hausmannskost?

Beides! Je nach Gelegenheit

Wandern oder in der Sonne liegen?

Wandern

Auto oder Fahrrad?

Auto

 

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